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Ohne Titel (Mathilde, die Schwester des Künstlers)
  • Paul Klee
  • Ohne Titel (Mathilde, die Schwester des Künstlers)
  • 1903
  • Ölfarbe und Aquarell auf Karton auf zweitem Karton
  • 27,5 x 31,5 cm
  • Zentrum Paul Klee, Bern
Werkbeschrieb
Literatur

Das kleine Porträt seiner Schwester Mathilde malte Paul Klee im Jahre 1903, als er nach einem siebenmonatigen Italien-Aufenthalt in sein Elternhaus am Obstbergweg 6 in Bern zurückkehrte. Klees künstlerisches Hauptaugenmerk galt in dieser Zeit dem Zeichnen und der Grafik, insbesondere dem Aktstudium und der Radiertechnik. Die Malerei hatte für ihn nur Versuchscharakter: Er suchte nach unkonventionellen Verbindungen von Öl- und Aquarellmalerei oder probierte die unterschiedliche Wirkung verschiedener Grundierungen aus. Selbstkritisch schrieb Klee in sein Tagebuch: »Manchmal male ich jetzt versuchsweise in Öl. Über technische Experimente(e) hinaus gelange ich aber nicht. Sicher sehr am Anfang oder vor dem Anfang!«

Was Klee als Versuch »am Anfang« einstufte, ist in »Ohne Titel (Die Schwester des Künstlers)« in Wirklichkeit ein stimmiges, berührendes Porträt seiner Schwester. Sich kompositorisch an die strenge Profilansicht haltend, erfasste der junge Künstler den Kopf in fast klassischer Malweise und arbeitete die Physiognomie der Schwester in sorgfältiger Modellierung heraus. Das sinnliche, dunkle Blau des Hintergrunds verleiht dem Gesicht Ruhe und Zeitlosigkeit.

Das Interesse für die menschliche Physiognomie war für Klees Schaffen zentral: In zahlreichen Werken beschäftigte er sich – oft in karikaturhafter Überzeichnung – mit der prägnanten Erfassung charakteristischer Gesichtszüge. In seiner gestalterischen Welt aber gewann der Begriff der Physiognomie eine Dimension, die über die enge Wortbedeutung hinausgeht: Jedes einzelne Kunstwerk hat eine eigene »Bildphysiognomie« – der Begriff wurde zur Metapher für den immer wieder von neuem beginnenden Formprozess, durch den das Bild sein unverwechselbares, individuelles »Gesicht« erlangt.


Quelle: Zentrum Paul Klee, Bern (Hrsg.), Kurzführer, Ostfildern-Ruit 2005, S. 62-63 (Michael Baumgartner)